„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“.
Altkanzler Helmut Schmidt
Der nachhaltige Blick geht weit über die drei Bereiche Ökologie, Soziales und Ökonomie hinaus. Auch eine kulturelle Dimension wird in den unterschiedlichen Lebensstilen, Religionen, ethischen Grundwerten, der Bildung und dem sozialen Engagement sichtbar. Der Einzelne kann in dieser kulturellen Dimension seine geistigen und sozialen Fähigkeiten einbringen und sich in einer Gemeinschaft mit anderen verbinden. Nachhaltige Weitsicht setzt auch Begeisterung frei. Visionen sind häufig rar in unserer Gesellschaft. Es braucht Visionen für die Zukunft, die unser Herz und Hirn berühren und unserem Denken eine neue Richtung geben. Gerade die Covid-19-Pandemie mit ihren Einschränkungen bringt uns zum Nachdenken, wie wir in Zukunft leben wollen.
Deshalb ist die gesellschaftliche Debatte über Werte und Kultur von so großer Bedeutung. Für den Klima– und Umweltschutz stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, eine wirkliche Kultur der Nachhaltigkeit zu schaffen. Muss es wirklich der Verlust auf Lebensqualität sein? Sollen wir auf Reisen verzichten? Werden wir jetzt alle Veganer? Ist Nachhaltigkeit einer privilegierten Gesellschaftsschicht vorbehalten?
Die kulturelle Dimension von Nachhaltigkeit gibt uns die Möglichkeit, soziale und gesellschaftliche Perspektiven mehr in den Blick zu nehmen. Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie muss eine Antwort darauf geben, wie wir in Zukunft leben wollen.
Am Beispiel des Elektroautos sehen wir, dass ein alleiniges Nachbessern des Bisherigen oder eine rein politische verordnete Lösung nicht die Probleme lösen kann. Denn die Herstellung der Lithiumbatterien und der erhöhte Stromverbrauch auch aus nicht regenerativen Energiequellen ist bisher nicht nachhaltig.
Jetzt wird es spannend. Denken sie einmal visionär, wiederum am Beispiel der Mobilitätskultur. Vielleicht kommt das Auto dann über eine App gesteuert zu uns. Und zwar ein Auto, dass maßgeschneidert passt. Heute der kleine sportliche Singlewagen und morgen der Familienvan mit Kindersitz zum Großeinkauf. Für jeden Anlass den passenden Wagen zu teilen, baut auf dem Prinzip des Teilens und Tauschens und nicht auf dem des Besitzens oder des Verzichts auf. Car–Sharing, Benzin und Ressourcen sparen kann hier das Motto sein.
Bei einer nachhaltigen Wohnkultur beispielsweise geht es nicht nur um weniger (haben), sondern auch um mehr, nämlich eine neue gemeinschaftliche Beziehungskultur.
Wieviel Lebensqualität gewinnen wir durch neue Wohnformen? Ist der heutige Trend zu Singlewohnungen in den Städten nachhaltig? Stellen sie sich vor, es entstehen ursprüngliche Dorfgemeinschaften in einem Haus. Nachbarn helfen sich gegenseitig oder treffen sich abends auf der begrünten Dachterrasse. Schon eine einfache Bank vor der Haustür lädt zum „Klönen“ ein. Vielleicht richten sie selbst auch ein Gemeinschaftsraum im Keller eines Mietshauses ein. Ein kultureller Abend mit Menschen aus uns vielleicht fremden Ländern kann eine Bereicherung unseres Lebens sein. Wie wäre es, Studierenden ein Zimmer anzubieten und diese unterstützen sie dafür beim Einkauf?
Bei der Co-Working-Space Idee sollen unter anderem ArbeiternehmerInnen in ländlichen Gebieten Homeoffice– Arbeitsplätze in Gemeinschaftsräumen angeboten werden. Damit fällt der Individualverkehr in die Innenstädte und die teuren Mieten für Büros weg. Auch hier könnten allein durch das Zusammensein neue Geschäftsideen entstehen. Für die Mittagspause etabliert sich unter Umständen eine grüne Cafeteria mit MitarbeiterInnen aus dem eigenen Ort. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Merken sie, wie schnell neue Zukunftsideen entstehen können? Aus Visionen können konkrete Vorstellungen und eine Haltung erwachsen, die nicht aus Angst vor Katastrophen, sondern aus Lebensfreude gespeist wird.
Denken sie gerne weiter.
Fotos: Simone Wobrock; nadezhda1906/adobe stock